Übersicht
- A. Zeitlicher Anwendungsbereich (Rn. 1)
- B. Sachlicher Anwendungsbereich (Rn. 2)
- C. Normzweck (Rn. 3)
- D. Antragstellung (Abs. 1) (Rn. 4)
- E. Angaben in der ersten Entscheidung, die in der Restrukturierungssache ergeht (Abs. 2 S.1, S. 2) (Rn. 5)
- F. Rechtsmittel (Abs. 2 S. 3) (Rn. 6)
- G. Rechtsfolgen der öffentlichen Bekanntmachung (Rn. 7)
(1) In Verfahren über Restrukturierungssachen erfolgen öffentliche Bekanntmachungen nur, wenn der Schuldner dies beantragt. Der Antrag ist vor der ersten Entscheidung in der Restrukturierungssache zu stellen und kann nur bis zur ersten Entscheidung zurückgenommen werden. Auf den Antrag findet Artikel 102c § 5 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung entsprechende Anwendung.
(2) Hat der Schuldner beantragt, dass in den Verfahren in der Restrukturierungssache öffentliche Bekanntmachungen erfolgen sollen, sind in der ersten Entscheidung, die in der Restrukturierungssache ergeht, anzugeben:
Öffentlich bekannt zu machen sind die in Artikel 24 Absatz 2 der Verordnung (EU) 2015/848 genannten Angaben. Artikel 102c § 4 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung ist entsprechend anzuwenden.
Übersicht
Gem. Art. 25 Abs. 3 Nr. 1 SanInsFoG treten die Regelungen der §§ 84 bis 88 erst zum 17. Juli 2022 in Kraft. Der deutsche Gesetzgeber hat die maximal mögliche Umsetzungsfrist nach § 34 Abs. 2 der RL 2019/1023 in Anspruch genommen, um einen hinreichenden Vorlauf für die technische Umsetzung zu gewähren (Begr. SanInsFoG-RegE z. Art. 25, BR-Drucks 619/20, S. 261).
Die Möglichkeit der öffentlichen Bekanntmachung besteht nur für Restrukturierungssachen im Sinne des Teils 2. Für die Sanierungsmoderation (Teil 3) und den diesbezüglich in § 97 geregelten Sanierungsvergleich ist die öffentliche Bekanntmachung nicht vorgesehen (Braun/Tashiro, StaRUG § 84 Rn. 6). Eine Bekanntmachung der Sanierungsmoderation dürfte auch deren mediativen Charakter entgegenstehen und daher nicht erforderlich sein.
Die §§ 84 bis 88 ermöglichen es dem Schuldner, die Restrukturierungssache öffentlich zu betreiben. Auf den ersten Blick steht die Möglichkeit der öffentlichen Bekanntmachung der Restrukturierungssache im Widerspruch zur grundsätzlichen Vertraulichkeit des Verfahrens. Der deutsche Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, das Restrukturierungsverfahren, das gerade keiner gesamtwirtschaftlichen Sanierung sondern – insbesondere aus praktischer Sicht – der Restrukturierung lediglich ausgewählter Verbindlichkeiten dient, grundsätzlich nicht öffentlich auszugestalten, um negative Publizitätseffekte zu vermeiden.
Doch gerade bei grenzüberschreitenden Restrukturierungen ist die Möglichkeit, die öffentliche Bekanntmachung der Restrukturierungssache zu beantragen, aus Schuldnersicht besonders relevant: Denn Voraussetzung für die Anerkennung der Restrukturierungssache im EU-Raum mit Ausnahme von Dänemark (s. ErwG 88 EuInsVO ist, dass das Verfahren in Anhang A (Insolvenzverfahren nach Art.2 Nr. 4) der EuInsVO aufgenommen wird, vgl. Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 3 EuInsVO. Vom Anwendungsbereich der EuInsVO erfasst sind jedoch ausschließlich auf öffentliche Gesamtverfahren, vgl. Art. 1 Abs. 1 S. 1 EuInsVO. Die Anerkennung in den EuInsVO-Mitgliedsstaaten dürfte bei grenzüberschreitenden Restrukturierungen besonders relevant sein, um die Eröffnung und unkoordinierte Betreibung von Einzelverfahren in verschiedenen Mitgliedsstaaten, was dem Erfolg komplexer grenzüberschreitender Restrukturierungen regelmäßig entgegen stehen dürfte, zu verhindern. Zudem dürfte die Anerkennungswirkung in grenzüberschreitenden Restrukturierungssachen insbesondere im Falle der Anordnung von Stabilisierungsmaßnahmen bei gleichzeitigem Vermögen im EuInsVO-Ausland sowie mit Blick auf den Restrukturierungsplan bei Einbeziehung von Forderungen ausländischer Gläubiger relevant sein.
Der Gesetzgeber räumt dem Schuldner daher mit dem Inkrafttreten der Regelungen in §§ 84 ff. die Option ein, die Veröffentlichung der Restrukturierungssache zu beantragen, um damit den Anwendungsbereich der EuInsVO und insbesondere den dort geregelten Anerkennungs- und Zuständigkeitsvorschriften zu eröffnen.
Gemäß § 84 Abs. 1 S. 1 erfolgen in Verfahren über Restrukturierungssachen öffentliche Bekanntmachungen nur, wenn der Schuldner dies beantragt.
Die Regelung enthält zwei Aussagen: Zum einen ist der Ausschluss der Öffentlichkeit in Restrukturierungssachen der gesetzliche Regelfall. Zum anderen erfolgt die Veröffentlichung der Restrukturierungssache nicht von Amts wegen, sondern nur auf entsprechenden Antrag des Schuldners. Das öffentliche Betreiben der Restrukturierungssache soll damit allein in den Händen des Schuldners gelegt werden. Dies ist Ausfluss der grundsätzlichen Verfahrensmaxime und des gesetzgeberischen Leitbilds, dass der Schuldner der Herr über das Verfahren ist und zu sein hat.
Gemäß § 84 Abs. 1 S. 2 hat der Schuldner den Antrag vor der ersten Entscheidung in der Restrukturierungssache zu stellen. Der Antrag kann ferner auch nur bis zu dieser ersten Entscheidung zurückgenommen werden. Liegt also im Zeitpunkt der ersten Entscheidung in der Restrukturierungssache kein entsprechender Antrag (mehr) vor, unterbleiben öffentliche Bekanntmachungen in der Restrukturierungssache. Liegt der Antrag dagegen im Zeitpunkt der ersten Entscheidung vor, erfolgen während des gesamten Restrukturierungsverfahrens öffentliche Bekanntmachungen. Der zuvor gestellte Antrag kann nicht zurückgenommen werden, d.h. der Antrag ist ab der ersten Entscheidung für das gesamte Verfahren bindend. Ein Hin- und Herspringen zwischen einem öffentlichen Verfahren und einem nicht öffentlichen Verfahren ist nicht zulässig.
§ 84 Abs. 1 S. 3 verweist hinsichtlich der inhaltlichen Anforderungen des Antrags auf die öffentliche Bekanntmachung der Restrukturierungssache auf Art. 102c § 5 EGInsO. Der Antrag muss daher folgende Angaben enthalten:
Das nach §§ 34 f. zuständige Restrukturierungsgericht hat über den Antrag des Schuldners zu entscheiden. Die Entscheidungen des Restrukturierungsgerichts können nach § 39 Abs. 3 S. 1 ohne mündliche Verhandlung ergehen. Die § 84 Abs. 2 S. 1 und 2 geben dem Restrukturierungsgericht ein entsprechendes Prüfprogramm vor.
Da die erste Entscheidung als eine Eröffnungsentscheidung im Sinne des Art. 2 Nr. 7 EuInsVO zu verstehen ist (StaRUG-RegE, BR-Drucks 619/20, S. 207), ist der zu § 84 Abs. 2 S. 1 inhaltsgleiche § 4 Abs. 1 EuInsVO unmittelbar anwendbar. Der Regelung des § 84 Abs. 2 S. 1 dürfte damit lediglich eine klarstellende Funktion zukommen (so auch: BeckOK StaRUG/Skauradszun, § 84 Rn. 21).
Das Restrukturierungsgericht hat nach § 84 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 (bzw. Art. 4 Abs. 1 EuInsVO) die Gründe anzugeben, auf denen die internationale Zuständigkeit des Gerichts beruht.
Das Restrukturierungsgericht hat gem. § 84 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 (bzw. Art. 4 Abs. 1 EuInsVO) zudem zu entscheiden, ob seine Zuständigkeit für die Restrukturierungssache als Hauptrestrukturierungsverfahren auf Art. 3 Abs. 1 EuInsVO oder als Sekundärrestrukturierungsverfahren auf Art. 3 Abs. 2 EuInsVO beruht. Die Anhängigkeit eines Hauptrestrukturierungsverfahrens sperrt die Eröffnung weiterer Hauptinsolvenzverfahren, sodass im Falle der Anhängigkeit eines Hauptrestrukturierungsverfahrens nur die alternative Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens verbleibt, vgl. § 3 Abs. 3 EuInsVO. Bezüglich der Prüfung von Kompetenzkonflikten verweist § 88 auf Art. 102c § 2 EGInsO (zu den Ausführungen siehe § 88).
Nach § 84 Abs. 2 S. 2 sind alle in Art. 24 Abs. 2 EuInsVO genannten Pflichtinformationen zu veröffentlichen. Die Pflichtinformationen des Restrukturierungsregisters dürften damit den im Insolvenzregister im Sinne des § 24 Abs. 21 EuInsVO zu veröffentlichenden Pflichtinformationen entsprechen (Braun/Tashiro, StaRUG § 84 Rn. 20).Ergänzt werden diese Pflichtinformationen durch die Angaben, die gem. § 85 Abs. 1 ebenfalls bekannt zu machen sind (siehe § 85).
§ 84 Abs. 2 S. 3 verweist über Art. 102c § 4 EGInsO bezüglich der Rechtsmittel gegen die erste Entscheidung in der Restrukturierungssache auf Art. 5 Abs. 1 EuInsVO.
Statthaft ist nach Art. 102c § 4 S. 1 EGInsO die sofortige Beschwerde, soweit mit ihr das Fehlen der internationalen Zuständigkeit nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO gerügt wird. Die Ablehnung der ersten Entscheidung ist nicht nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO i.V.m. Art. 102c § 4 EGInsO anfechtbar (Morgen/Abel/Herbst, StaRUG, § 84 Rn. 38 m.V.a. Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 5 Rn. 4). Unstatthaft ist auch eine Anfechtung aus Gründen der örtlichen, sachlichen oder funktionellen Zuständigkeit (Morgen/Abel/Herbst, StaRUG, § 84 Rn. 38 m.V.a. Mankowski/Müller/J. Schmidt/Mankowski, EuInsO 2015, Art. 5 Rn. 6)
Art. 5 Abs. 2 EuInsVO stellt deklaratorisch klar, dass die Entscheidung zur Eröffnung des Hauptverfahrens aus anderen Gründen als einer mangelnden internationalen Zuständigkeit angefochten werden kann, wenn dies nach nationalem Recht vorgesehen ist. Nach § 40 StaRUG sind Entscheidungen des Restrukturierungsgerichts nur in den Fällen einem Rechtsmittel zugänglich, in denen das StaRUG die sofortige Beschwerde vorsieht, vgl. § 51 Abs. 5, § 66, § 75 Abs. 3.
Beschwerdebefugt sind gem. Art. 102c § 4 S. 1 EGInsO der Schuldner und jeder Gläubiger.
Art. 5 Abs. 2 EuInsVO stellt deklaratorisch klar, dass die Entscheidung zur Eröffnung des Hauptverfahrens auch von anderen als den in Art. 5 Abs. 1 ‚EuInsVO genannten Verfahrensbeteiligten angefochten werden kann, wenn dies nach nationalem Recht vorgesehen ist. Von dieser Öffnungsklausel hat der deutsche Gesetzgeber keinen Gebrauch gemacht. Daher bleibt Anteilsinhabern der Rechtsbehelf nach Art. 5 EuInsVO versperrt (BeckOK-StaRUG/Skauradszun, § 84 Rn. 32)
Die sofortige Beschwerde ist gem. § 40 Abs. 1 S. 2 StaRUG bei dem Restrukturierungsgericht einzulegen. § 569 Abs. 1 S. 2 ZPO, wonach die Beschwerde optional beim Beschwerdegericht eingelegt werden kann, findet in Restrukturierungsverfahren keine Anwendung (BeckOK-StaRUG/Skauradszun, § 84 Rn. 33).
Gegen die Entscheidung über die sofortige Beschwerde ist gem. Art. 102c § 4 S. 2 EGInsO i.V.m. §§ 574 bis 577 ZPO die Rechtsbeschwerde statthaft.
Mit der Aufnahme der öffentlichen Restrukturierungssache in den Anhang A (Insolvenzverfahren nach Artikel 2 Nummer 4) der EUInsVO und dem Inkrafttreten der §§ 84 ff. ab dem 17.7.2022 kann der Schuldner die grenzüberschreitenden Auswirkungen der EuInsVO für sich nutzen.
Ab der ersten Entscheidung im Sinne von § 84 Abs. 1 S. 2 – und nicht erst ab der öffentlichen Bekanntmachung gemäß § 86, da die erste Entscheidung als Eröffnungsentscheidung zu werten und entsprechend anzuerkennen ist, auch wenn deren Bekanntmachung noch aussteht – handelt es sich um eine öffentliche Restrukturierungssache und damit um ein öffentliches Verfahren im Sinne der EuInsVO (BeckOK-StaRUG/Skauradszun, § 84 Rn. 36).
Gem. Art. 7 Abs. 1 EuInsVO gilt für deutsche öffentliche Restrukturierungssachen und ihre Wirkungen das Recht der Bundesrepublik Deutschland, wenn in deren Hoheitsgebiet eine erste Entscheidung nach § 84 Abs. 1 S. 2 getroffen wurde (Lex fori). Im Hinblick auf die Eröffnungs-, Durchführungs-- und Beendigungsvoraussetzungen verweist Art. 7 Abs. 2 S. 1 EuInsVO zudem wieder auf das Recht der Verfahrenseröffnung. Art. 7 Abs. 2 S. 2 EuInsVO enthält diesbezüglich einen nicht abschließenden Katalog an Regelungsgegenständen (dazu ausführlich: BeckOK-StaRUG/Skauradszun § 84 Rn. 40).
Die Art. 7 bis 18 EuInsVO enthalten Beschränkungen des nach Art. 7 EuInsVO anwendbaren Insolvenzstatuts.
Entscheidungen in deutschen öffentlichen Restrukturierungssachen müssen ab 17.7.2022 in den übrigen Mitgliedstaaten anerkannt werden. Die Anerkennung der ersten Entscheidung nach § 84 Abs. 1 S. 2 (= Eröffnungsentscheidung im Sinne des Art. 2 Nr. 7 EuInsVO) erfolgt nach Art. 19 EuInsVO automatisch ohne Vorabkontrolle in allen anderen EU-Mitgliedstaaten. Die automatische Anerkennung sonstiger Entscheidungen in deutschen öffentlichen Restrukturierungssachen ist in Art. 32 EuInsVO geregelt.
Die Entscheidungen der deutschen Restrukturierungsgerichte werden gem. § 32 Abs. 1 S. 2 EuInsVO nach den Vorgaben der Art. 39–44 und 47–57 Brüssel Ia-VO vollstreckt.